Diese Variante gehört zur geschlossenen Verteidigung.

Häufig werden Spiele nach der Spanischen Eröffnung auch mit folgenden Zügen fortgesetzt:

3. … a6

4. La4 Sf6

5. 0-0 Sxe4

Das führt zur offenen Verteidigung, oft mit den weiteren Zügen:

6. d4 b5

7. Lb3 d5

8. dxe5 Le6 (Diagramm 42)

Schwarz hat einen offensiven Springer auf e4, der aber leicht vertrieben oder abgetauscht werden kann, beispielsweise nach 9. Sd2. Die Stellung ist ausgeglichen, Weiß steht etwas kompakter.

Diagramm 42

Lisa blättert weiter im Schachbuch und klickt sich im Internet durch eine Vielzahl von Webseiten mit Eröffnungen der Kategorie Offene Spiele.

Philidor-Verteidigung

1. e4 e5 2. Sf3 d6 3. d4 Sd7 4. Lc4 c6 5. 0–0 Le7

6. Sc3 Sf6 (Schwarz steht stabil)

Königsspringergambit

1. e4 e5 2. f4

Weiß opfert einen Bauern, um die f-Linie für den Königsturm zu öffnen. Daraus ergeben sich komplexe Stellungen mit taktischen Problemen für beide Spieler. Beispiel einer möglichen Entwicklung:

2. … e5xf4 3. Sf3 g5 4. h4 g4 5. Se5 Sf6 6. d4 d6

Wiener Partie

1. e4 e5 2. Sc3 Sf6 3. Lc4 Sxe4

4. Dh5 Sd6 5. Dxe5+ De7

Anschließend kommt es meist zum Damentausch. Die Stellungen sind ausgeglichen mit leichten Positionsvorteilen für Weiß.

Russische Partie

Die sieht interessant aus, denkt Lisa.

1. e4 e5

2. Sf3 Sf6 (Diagramm 43)

3. Sxe5 d6

(falsch wäre Sxe4 wegen

4. De2 d5, 5. d3 De7,

6. dxe4 Dxe5,

7. e4xd5, womit Schwarz einen wichtigen Bauern verliert)

4. Sf3 Sxe4

Diagramm 43

Lisa übergeht weitere Varianten der offenen Spiele wie die Wiener Partie und das Nordische Gambit – die nimmt sie sich für später vor – und studiert das Angebot an halboffenen Spielen. Rudi hat doch noch die Sizilianische Verteidigung erwähnt, die sie sich merken soll. Ob die hier zu finden ist?

Halboffene Spiele

Aus den halboffenen und geschlossenen Spielen ergeben sich meist komplexe Positionskämpfe, im Gegensatz zu den vorher beschriebenen offenen Spielen. Die halboffenen Spiele beginnen auch mit 1. e4, doch der Nachziehende antwortet darauf nicht mit dem naheliegenden e5.

Caro-Kann-Verteidigung

1. e4 c6 2. d4 d5 3. Sc3 d5xe4 4. Sxe4 Lf5

Französische Partie

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Le7

5. e5 Sd7 6. Lxe7 Dxe7

Aljechin-Verteidigung

Den Namen hat Lisa schon gehört. Das soll einer der ganz berühmten Meister gewesen sein. Sie bringt die Figuren auf ihrem Schachbrett in Startposition, um die Züge der Aljechin-Verteidigung nachzuspielen.

1. e4 Sf6

2. e5 Sd5

3. c4 Sb6

4. d4 d6 (Diagramm 44)

Diagramm 44

Weiß hat ein starkes Bauernzentrum, während der schwarze Springer eine scheinbar nutzlose Reise unternommen hat…

Lisa findet Dutzende von Webseiten, die sich mit Nebenvarianten der Aljechin-Eröffnung beschäftigen. Sie spielt erst einmal die klassische Variante mit dem Namen Vierbauernangriff weiter:

5. f4 dxe5

6. fxe5 Sc6

7. Le3 Lf5

8. Sc3 e6

9. Sf3 Le7

10. Le2 0–0

11. 0–0 f6 (Diagramm 45)

Schwarz steht solid und wird nun versuchen, das weiße Bauernzentrum zu zerpflücken.

Diagramm 45

Sizilianische Verteidigung

Die berühmtesten Sizilianischspieler waren Bobby Fischer und Garri Kasparow, auch Magnus Carlsen (2013 Weltmeister geworden) bevorzugt diese Variante. Diese Eröffnung führt oft zu einem scharfen Kampf, liest Lisa auf einer Wikipedia-Seite und fragt sich, ob das die geeignete Variante für eine Anfängerin wie sie ist.

Zunächst ist sie überrascht, dass die Sizilianische Eröffnung schon nach dem ersten Gegenzug von Schwarz beendet sein soll:

1. e4 c5

Schwarz antwortet auf e2–e4 nicht mit dem üblichen e7–e5 wie bei den offenen Spielen, sondern mit c7–c5, und daraus soll sich ein völlig anderes Spiel entwickeln als bei der Italienischen oder Spanischen Partie? Tatsächlich ergeben sich sehr viele Fortsetzungsvarianten, wie Lisa bald feststellt. Sie spielt folgende Züge nach:

1. e4 c5

2. Sf3 d6

3. d4 c5xd4

4. Sxd4 Sf6

5. Sc3 a6

6. Lg5 e 6 (Diagramm 46)

Diagramm 46

Lisa hat überraschendere oder aggressivere Züge der schwarzen Truppe erwartet. Statt dessen operiert Schwarz mit vielen Bauernzügen wie eine Fußballmannschaft, die nur verteidigen will.

7. f4 Le7

8. Df3 Sb8–d7

9. 0–0–0 Dc7

Okay, nun wird klar, dass Schwarz auch angreifen will.

10. Ld3 b5

11. Th1–e1 Lb7

12. Kb1 0–0 (Diagramm 47)

Stark, denkt Lisa. Nun kann Schwarz am Damenflügel voll angreifen, Weiß muss versuchen, die schwarze Superverteidigung am Königsflügel zu knacken. Spannend!

Diagramm 47

Geschlossene Spiele

Geschlossene Spiele beginnen mit dem Bauernzug d2–d4. Die geschlossenen Spiele bilden die größte der drei Gruppen von Schacheröffnungen und führen meist schon in der Anfangsphase einer Partie zu komplexeren Stellungen. Bekannteste Varianten sind die Indischen Verteidigungen, das Damengambit und die Englische Eröffnung. Aus diesen haben sich zahlreiche Neben- und Fortsetzungsvarianten gebildet wie die Nimzoindische Verteidung, der Angriff, das angenommene und das abgelehnte Damengambit.

Lisa verzichtet darauf, sich in all die Varianten zu vertiefen, aber ein paar dieser Eröffnungen will sie sich einmal anschauen.

Klassisches Damengambit, abgelehnt

Unter einem Gambit versteht man eine Eröffnung, bei der aus taktischen Überlegungen ein Bauer dem Gegner überlassen wird. Wird der Bauer geschlagen, handelt es sich um ein angenommenes Gambit, andernfalls um ein abgelehntes.

1. d4 d5

2. c4 e6

Schwarz blockiert vorerst die Entwicklung des weißfeldrigen Läufers.

3. Sc3 Sf6

4. Lg5 Le7 (Diagramm 48)

5. e3 0–0

6. Sf3 Sb8–d7

7. Tc1 c6

8. Ld3 dxc4

9. Lxc4 Sd5

Diagramm 48

Klassisches Damengambit, angenommen

1. d4 d5

2. c4 d5xc4

3. Sf3 (die Rückeroberung des Bauern hat Zeit)

… Sf6

4. e3 e6 (Diagramm 49)

5. Lxc4 c5

6. 0–0 a6

7. De2 Sc6

8. Td1 b5

9. Lb3 c4

10. Lc2 Sb4

Diagramm 49

Königsindisch

1. d4 Sf6

2. c4 g6

3. Sc3 Lg7 (Diagramm 50)

Schwarz überlässt dem Gegner das Zentrum in der Absicht, dieses später zu sprengen. Die Position des Läufers auf g7 nennt man Fianchetto (Flanke).

4. e4 d6

5. Sf3 0–0

6. Le2 Sb8–d7

7. 0–0 e5

Diagramm 50

Damenindisch

1. d4 Sf6

2. c4 e6

3. Sf3 b6

4. g3 Lb7

5. Lg2 Le7 (Diagramm 51)

6. 0–0 0–0

7. Sc3 Se4

8. Dc2 Sxc3

9. Dxc3 f5

Leichte räumliche Vorteile für Weiß…

Diagramm 51

Nimzoindisch

1. d4 Sf6

2. c4 e6

3. Sc3 Lb4 (Diagramm 52) Mit Lb4 verhindert Schwarz wirkungsvoll den Vorstoß e4.

4. e3 c5

5. Sf3 0–0

6. Ld3 d5

Chancengleichheit für beide Parteien.

Diagramm 52

Eröffnungsfallen

Lisa freut sich auf die nächsten Partien mit Erich. Sie hat im Sinn, ihr neuerworbenes Wissen anzubringen und ihren Onkel, gegen den sie noch nie eine Partie gewonnen hat, mit der Russischen Eröffnung zu überraschen. Ihre Eltern wundern sich, dass sie den Mut noch nicht verloren hat, sich jeden Sonntagabend wie ein Opferlamm am Schachbrett in neue Niederlagen zu stürzen.

Selbst Erich ist erstaunt über den Eifer seiner Nichte, ihn in seinem liebsten Hobby unermüdlich zu fordern, und natürlich sind ihm die Fortschritte der Kleinen – vor einem halben Jahr erst hat er ihr das Schachspiel beigebracht – nicht entgangen. «Wenn es dir gelingt, mich vor Ende dieses Jahres zu besiegen, schenke ich dir ein nagelneues City-Bike», verspricht er. Er weiß, dass ein solches auf Lisas Wunschliste steht. «Echt, versprochen?», ruft Lisa entzückt. Sie hat das Gefühl, dass Erich sich nicht im Traum vorstellen kann, in den noch verbleibenden fünf Monaten bis Ende Jahr im Schach gegen sie zu verlieren.

Russische Partie mit Absturz

Erich eröffnet mit seinem gewohnten ersten Zug, und Lisa antwortet mit dem üblichen Gegenzug:

1. e4 e5

2. Sf3

Der erwartete zweite Zug von Erich. Nun spielt Lisa «russisch»:

2.… Sf6

Das hat sie noch nie gespielt, aber Erich zeigt sich keineswegs überrascht und spielt ohne zu zögern

3. Sxe5 (Diagramm 53)

So weit so gut, denkt Lisa. Wie war das noch im Schachbüchlein? Den Bauern e4 schlagen oder zuerst den Springer e5 vertreiben? Also d6 spielen oder De7? Ach, ich schlage zuerst den Bauern, dann greife ich seinen Springer an. Ein Fehler, wie sich gleich herausstellt.

Diagramm 53

3. … Sxe4?

Sie ist sich nicht sicher, ob das noch konform ist.

4. De2

Lisa merkt, dass sie einen Fehler gemacht hat. Also zurück mit dem Springer.

4. … Sf6?

Noch ein Fehler, diesmal ein fataler… (besser wäre d6)

5. Sc6+ (Diagramm 54)

«Das war russisches Roulette», lacht Erich, als er Lisas Bestürzung sieht. Nach dem Abzugsschach verliert sie die Dame.

Diagramm 54

Lisas Ärger über das schnelle Ende der Partie ist bald verraucht. Den gleichen Fehler würde sie nicht ein zweites Mal machen. Sie schaut sich in der Folgewoche noch andere Eröffnungsvarianten an und entdeckt dabei das Seekadettenmatt und das Schäfermatt, zwei Eröffnungsfallen, in die sie garantiert nie tappen würde, nimmt sie sich vor.

Das Seekadettenmatt 3)

1. e4 e5

2. Sf3 d6

3. Lc4 h6

4. Sc3 Lg4

Und jetzt die Überraschung:

5. Sxe5! Lxd1?

6. Lxf7+ Ke7

7. Sd5 matt (Diagramm 55)

Diagramm 55

Den Namen verdankt diese Eröffnungsfalle der Operette «Der Seekadett», die im Oktober 1846 in Wien uraufgeführt wurde und in deren zweitem Akt eine Lebendschachpartie mit den hier aufgezeichneten Zügen gespielt wurde.

Das Schäfermatt

1. f4 e6

2. g4? Dh4 matt! (Diagramm 56)

Diagramm 56

Das berühmte Matt in zwei Zügen – der Alptraum jedes Anfängers. Es ist wirklich keine gute Idee, gleich zu Beginn der Partie die Bauern auf f4 und g4 zu verschieben.

Das Mittelspiel

Lisa ist wieder in das kleine Schachbuch vertieft und liest, was dort über das Mittelspiel steht.

Die Phase nach der Eröffnung lebt von der Gedankenwelt und Persönlichkeit der Spieler, lernt sie.

Anfängern wird es darum gehen, einem stärkeren Gegner das Siegen so schwer wie möglich zu machen, und sie neigen eher zu einer defensiven Spielweise, während die etwas selbstsichereren Spieler den Angriff wählen. Denn nur wer angreift, kann die Partie gewinnen. Logisch, findet Lisa.

Im Mittelspiel geht es nun darum, einen solchen Angriff vorzubereiten und die diesem Zweck dienlichen positionellen Vorteile zu erlangen. Ein paar grundsätzliche Ratschläge mögen dabei nützlich sein:

Alles gute Ratschläge. Lisa wird klar, dass sich das Mittelspiel nicht systematisch lernen lässt. Rudi hat ihr per E-Mail ein paar Links geschickt von Partien, die 1959 zwischen Bobby Fischer und Michail Tal im damaligen Jugoslawien an einem Kandidatenturnier für die Weltmeisterschaft gespielt wurden.

«Bei diesen Spielen ist es wie bei einem guten Tennismatch: Du lernst immer etwas, wenn du den Besten zuschaust.»

Wo Rudi bloß diese Webseiten gefunden hat?, wundert sich Lisa. Wieso findet er Partien so toll, die im vorigen Jahrhundert gespielt wurden? Sie nimmt sich eine Stunde Zeit und spielt die folgende Partie Zug um Zug nach. Sie ist bald fasziniert von der Komplexität der Stellungen, die sich auf dem Brett ergeben und überlegt, wie sie vielleicht den einen oder andern Zug gespielt hätte.

Fischer Tal 4

1. e4 c5

2. Sf3 d6

3. d4 cxd4

4. Sxd4 Sf6

5. Sc3 a6(Diagramm 57)

Diagramm 57

Ich würde jetzt Lc4 spielen, überlegt Lisa und ist erfreut, dass dieser Zug tatsächlich als Nächster folgt.

6. Lc4 e6

7. Lb3 Le7

8. f4 0-0

Der Kampf ums Zentrum verschärft sich. Tal operiert aus einer soliden Verteidigung heraus.

9. Df3 Dc7

10. 0-0 b5 (Diagramm 58)

Diagramm 58

Nun würde ich a2–a3 oder Le3 spielen, denkt Lisa, doch mit dem folgenden Zug hat sie nicht gerechnet. Fischer verfolgt offenbar andere Pläne…

11. f5 b4

12. Sa4 e5

13. Se2 Lb7

14. Sg3 Sbd7

15. Le3 Lc6 (Diagramm 59)

Diagramm 59

Der Springer a4 steht ungünstig, auch der etwas schwache Bauer e4 ist ein Angriffsziel der schwarzen Steine.

Lisa betrachtet die Stellung und ist etwas ratlos, wie sie mit den weißen Steinen das Spiel fortsetzen würde. Vielleicht den Bauern auf c3 stellen?

16. Lf2 Db7

17. Tfe1 d5

18. exd5 Sxd5

19. Se4 Sf4

20. c4 (Diagramm 60)

Diagramm 60

b5–c3 könnte c4 en passant schlagen, hat Lisa gelernt. Dann würde Weiß mit 21. Sa4xc3 den gegnerischen Bauern ebenfalls schlagen…

20. … g6

Tal ist also nicht darauf eingegangen. Was soll Fischer nun tun? Das heißt, was würde ich jetzt machen? Lisa merkt nicht, dass sie nun schon seit über einer halben Stunde eine Partie nachverfolgt, die vor Ewigkeiten in einem Land stattgefunden hat, das es so heute nicht mehr gibt.

21. fxg6 f5! (Diagramm 61)

Diagramm 61

Au weia! Ich habe f7xg6 erwartet, denkt Lisa. Statt dessen greift Schwarz den Springer e4 an, der nirgends hin kann, ohne dass die Dame auf f3 vom Läufer c6 angegriffen wird. Gibt es für Weiß noch eine Chance?

Lisa überlegt lange, sieht aber keine Rettung für den Springer e4. Auf den folgenden Zug wäre sie nicht gekommen:

22. g7 Kxg7

23. Dg3+ Kh8

24. Se4–c5 Sxc5

25. Lxc5 Lxc5

26. Sxc5 Dc7 (Diagramm 62)

Diagramm 62

Fischer hat sich aus einer misslichen Lage mirakulös befreit und steht nach dem «Gemetzel» materiell gleich gut wie sein Kontrahent. Schwachpunkt: Es droht Tg8 mit Angriff auf die Dame g3 und das Feld g2.

27. De3 Tae8 (Sxg2 bringt nichts wegen 28. Dxe5+ Dxe5 29. Txe5).

28. Te2 (ein fast schon verzweifelter Versuch, das Feld g2 zu verteidigen).

28. … Sxe2

29. Dxe2 Lxg2

30. Sxa6 (Diagramm 63)

Diagramm 63, Schwarz am Zug

Die weiße Stellung ist höchst ungemütlich geworden. Der Läufer auf b3 ist wirkungslos, dem Springerangriff auf die Dame c7 kann sich Tal leicht entziehen. Lisa überlegt, ob Dg7 oder Dc6 besser wäre. Doch Tal wählte:

30. … Da7+

31. Kxg2 Tg8+ (Diagramm 64)

Diagramm 64

Wohin mit dem König?

31. Kf1 geht nicht wegen Dg1 matt, 31. Kh1 Db7+ 32. Dg2 Dxg2 matt ist kaum besser;

31. Kf3 oder Kh3 sind die einzigen Alternativen, aber die Stellung der weißen Steine ist bereits hoffnungslos. Selbst für Lisa als Anfängerin ist klar, dass die Partie entschieden ist.

32. Kh3 Dg7

33. Ld1 Te6 (Diagramm 65)

Diagramm 65, Schlussstellung

Fischer gab auf. Gegen 34. … Th6+ ist nichts mehr auszurichten (35. Dh5 Dg2+ 36. Kh4 Dxh2 matt).

Lisa erkundigt sich auf Wikipedia nach den beiden Spielern und erfährt, dass Bobby Fischer 1959 gerade mal 16 Jahre alt war, als er diese Partie in Belgrad im Rahmen des Kandidatenturniers für die Weltmeisterschaft gegen den späteren Turniersieger Michail Tal bestritt. Tal gewann auch die drei Folgepartien gegen Fischer und löste ein Jahr später Botwinnik als Weltmeister ab. Fischer errang 1972 in Reykjavik nach dem «Kampf des Jahrhunderts» gegen Boris Spasski den Weltmeistertitel.

Schach mit Gabeln und Spießen

«Das war eine Superpartie, vielen Dank!», schreibt Lisa in einem E-Mail an Rudi und bezieht sich auf das Match zwischen Fischer und Tal. «Aber in meinem letzten Spiel gegen Erich hatte ich wieder keine Chance. Im Mittelspiel mache ich zu viele Fehler und verliere einen Turm oder die Dame, und danach bin ich nur noch am Verteidigen, bis er mich mattsetzt. Ich bin einfach zu doof.»

«Blödsinn», antwortet Rudi, «du brauchst nur ein wenig mehr Spielerfahrung. Ich schicke dir ein PDF mit ein paar Beispielen über Gabeln und Spieße, nichts Besonderes, aber viele Partien werden genau damit gewonnen oder verloren. Du musst versuchen, zu vermeiden, dass du in eine Springergabel läufst, das heißt, du musst mehr vorausschauen, welche Züge der Gegner plant. Die Beispiele habe ich aus dem Schachklub, wo sie mit solchem Material den Anfängern das ABC beibringen. Übrigens: Wann kommst du mal vorbei, im Klub, meine ich?»

«Ich denke darüber nach. Zuerst werde ich mir deine Gabeln und Spieße anschauen.»

Aber das kenne ich doch schon alles, denkt Lisa zunächst etwas enttäuscht, als sie die Diagramme betrachtet.

Doppelangriff

Im Mittelspiel geht es darum, Druck auf feindliche Steine zu machen. Der Doppelangriff ist ein solches Druckmittel, ein gleichzeitiger Angriff gegen zwei feindliche Steine, der besonders wirkt, wenn es sich bei einem der bedrohten Steine um den König oder um eine Schwerfigur wie zum Beispiel die Dame oder einen Turm handelt. Es gibt drei Arten von Doppelangriffen:

Läufergabel: Der schwarze Läufer greift gleichzeitig den feindlichen König und den Turm an.

Läufergabel: Schwarz wird den Turm retten, kann aber den Verlust des Springers nicht verhindern.

Springergabel: Schwarz kann die Dame in Sicherheit bringen, verliert aber die Qualität (Turm gegen Springer).

Springergabel: Hier verliert Schwarz die Dame.

Läuferspieß: Schwarz verliert Qualität (Turm gegen Läufer).

Läuferspieß: Weiß erobert die schwarze Dame.

Turmspieß: Weiß hat nun die Wahl zwischen Pech und Cholera: Dame auf d 1 stellen und gegen den Turm tauschen oder den Turm h1 ersatzlos verlieren?

Abzugsschach: Ein Doppelangriff, bei dem für Schwarz mehr als nur der Damengewinn herausschaut. Schwarz setzt matt in 2 Zügen!

Beim zweiten Hingucken wird Lisa bewusst, dass ihre Niederlagen tatsächlich fast immer die Folge von Figuren- und Qualitätsverlust sind, zurückzuführen auf Spieße und Gabeln, in die sie oft gerät. Sie wird in Zukunft noch mehr darauf achten, nicht in solche Fallen zu geraten. Also noch ein wenig mehr vorausdenken, ganz einfach.

Ganz einfach? «Du lernst freiwillig Schach spielen», hat ihr Vater einmal gesagt, «also muss es dir Spaß machen. Wenn du merkst, dass es dir zu anstrengend oder zu langweilig wird, gibst du es einfach auf.»

So einfach! Lisa hat überhaupt nicht das Gefühl, dass Schach für sie zu anstrengend oder gar langweilig geworden ist. Aber jetzt freut sie sich auf das Fußballspiel mit ihren Schulfreundinnen und -freunden am nächsten Tag. Da kommt sie vielleicht wieder einmal zu einem Erfolgserlebnis.

Rudi hat noch mehr Material für Lisa, die nicht davon abzubringen ist, sich mit Lehrbeispielen auf der Stufe «Schach für Anfänger» zu befassen.

«Du bist zwar keine Anfängerin mehr», meinte er, «aber da habe ich noch ein paar Aufgaben, die ich im Schachklub lösen musste, nachdem ich als neues Mitglied ins Juniorenteam aufgenommen wurde. Wenn du die lösen kannst, bist du definitiv keine Anfängerin mehr!»

Lisa hat das Gefühl, dass Rudi ihr nur schmeicheln will, aber sie freut sich über die Aufmunterungen ihres Schulfreunds. Ob er sie wirklich schon für eine gute Schachspielerin hält? Sie schaut sich an, was er ihr geschickt hat:

Zu Diagramm 66 haben folgende Züge geführt:

Weiß Schwarz
1. e4 e6
2. d4 d5
3. Sc3 c5
4. e4xd5 e6xd5
5. d4xc5 Sf6
6. Lg5 Le7
7. LxSf6 Lxf6
8. Dxd5??

Aufgabe: Schwarz am Zug. Welcher ist am besten?

Diagramm 66, Schwarz am Zug

Lösung: ___________________

Ob ich die Aufgaben ohne große Mühe lösen kann?, überlegt Lisa und betrachtet das erste Diagramm. Sie hat gelernt, mit Schachdiagrammen umzugehen und kann einfachere Schachrobleme bereits lösen, ohne das Diagramm auf einem richtigen Schachbrett mit Figuren nachbauen zu müssen.

Schwarz am Zug kann die Dame d5 schlagen, worauf der weiße Springer die schwarze Dame schlägt. Das wäre ein Damentausch. Schwarz kann aber statt dessen auch mit dem Läufer den Springer c3 schlagen und Schach bieten. Dann ist die weiße Dame natürlich verloren! Klar, das muss die Lösung sein: sie notiert Lxc3+.

Das erste Problem hat Lisa tatsächlich mühelos gelöst, und sie schaut sich bereits die nächste Aufgabe an. Die sieht ähnlich aus, nur dass es sich um zwei Diagramme handelt.

Auch hier greift die weiße Dame zu früh an und bringt sich in eine heikle Situation.

Folgende Züge wurden gespielt, bis es zur Stellung wie im Diagramm 67 kam:

Weiß Schwarz
1. e4 e5
2. Sf3 d5
3. d4 e5xd4
4. Dxd4? Sf6
5. e5 Se4
6. Sc3 Lc5!

Diagramm 67: Weiß am Zug

Weiß lässt sich dazu verleiten, den «vergifteten» Bauern d5 zu verspeisen und spielt

7. Dxd5?? (Diagramm 68), wohl in der Annahme, dass der Springer c3 die Dame ja schützt…

Diagramm 68: Schwarz am Zug

Aufgabe: Schwarz am Zug. Welcher ist am besten?

Lösung:

___________________

___________________

Bei der zweiten Aufgabe ist Lisa mehr gefordert. Der Vorteil für die schwarzen Steine ist offensichtlich, den Bauern f2 kann Weiß nicht verteidigen. Springer schlägt f2 oder Läufer schlägt f2 – welches ist der bessere Zug? Oder zuerst die Dame auf d5 schlagen?

Nein, die Dame zuerst schlagen, ist keine gute Idee, denn Springer c3 schlägt dann d5 und droht mit der Springergabel auf c7. Mal sehen, wenn ich mit dem Läufer den Bauern f2 schlage, muss der weiße König auf e2 oder d1, und wenn ich dann mit dem Springer e4 den weißen Springer c3 schlage, der die Dame auf d5 schützt, steht der weiße König im Schach… Genial, das ist die Lösung!

Lisas Antwort-Mail an Rudi lässt nicht lange auf sich warten: «Ich denke, ich habe die Aufgaben gelöst. Viel Zeit habe ich dafür nicht gebraucht, also bin ich vielleicht doch kein dummes Huhn :-)

Lösungen

Diagramm 66: Lxc3+. Der König muss auf d1 oder e2, die weiße Dame wird im nächsten Zug von der gegnerischen Dame geschlagen.

Diagramm 68: Lxf2+. Der König muss auf d1 oder e2, der schwarze Springer schlägt c3+, und im nächsten Zug schlägt die schwarze Dame die weiße Dame auf d5.

Hat Spaß gemacht. Hast du noch mehr solche Beispiele? LG»

Das Endspiel

Das Kapitel «Endspiel» aus dem kleinen Schachbuch für Anfänger, das ihr Erich geschenkt hat, hat sich Lisa noch aufgehoben. Früher hätte sie beim Begriff «Endspiel» an Fußball gedacht, aber natürlich weiß sie jetzt, dass im Schach von Endspiel die Rede ist, wenn nur noch wenige Steine auf dem Brett stehen, zum Beispiel je eine Dame, ein Springer oder Läufer und ein paar Bauern.

Die ersten Aufgaben findet Lisa einfach zu lösen, da geht es um Konstellationen, bei denen der eine Spieler noch den König und die Dame oder einen Turm zur Verfügung hat, der andere nur noch den König. Trotzdem spielt Lisa die folgenden Übungen durch.

König und Dame gegen König

In dieser Ausgangslage sind zwei Dinge zu beachten:

Diagramm 69: Stell dir die weiße Dame auf einem beliebigen andern Feld auf dem Brett vor, und du wirst erkennen, dass der schwarze König immer noch einen Ausweg findet.

Weiß drängt also den schwarzen König systematisch an den Brettrand, indem abwechselnd die Dame und der König ziehen und dafür sorgen, dass dem schwarzen König immer weniger Fluchtfelder zur Auswahl bleiben:

Diagramm 69

1. Dd6 Kb5

2. Kd3 Ka4

3. Db6 Ka3

4. Kc3 Ka4 (Diagramm 70)

Weiß bieten sich nun zwei Möglichkeiten zum Schachmatt: Dame geht auf a6 oder b4.

Diagramm 70

Lisa hat auch schon gegen sich selber gespielt und fand es gar nicht so einfach, mit Dame und König allein den andern König mattzusetzen. Das systematische Vorgehen hatte ihr gefehlt.

König und Turm gegen König

Mit einem Turm ist das Mattsetzen etwas schwieriger als mit der Dame, aber innerhalb von etwa 15 Zügen sollte es auch aus einer ungünstigen Startposition heraus zu schaffen sein. Ungünstig heißt, der mattzusetzende König steht auf einem der Zentrumsfelder. Er muss nun im Zusammenspiel mit dem eigenen König und dem Turm an einen Brettrand gedrängt werden. Dabei ist es wichtig, sich für eine bestimmte Richtung bzw. Ecke auf dem Schachbrett, in die man den fliehenden König drängen will, zu entscheiden. Im folgenden Beispiel entschließt sich Weiß, den gegnerischen König in die Ecke a8 zu drängen, um ihn dort mattzusetzen.

1. Tb4 Ke5

2. Tb5+ Kd6

3. Ke4 Kc6

4. Td5 Kb6

5. Kd4 Kc6

6. Kc4 Kb6

7. Tc5 Ka6

8. Tb5 Ka7

9. Kc5 Ka6

10. Kc6 Kb7

11. Tb6 Ka8

12. Kc7 Ka7

Diagramm 71

Diagramm 72: Der Turm muss einen Wartezug einschieben, aber auf der 6. Linie bleiben, damit der schwarze König gezwungen ist, auf a8 zu gehen.

13. Te6 Ka8

14. Ta6 matt

Diagramm 72

König und zwei Läufer gegen König

Endspiele mit dem Läuferpaar gibt es in der Praxis äußerst selten. Weil die Frage aber berechtigt ist, ob ein Endspiel dieser Art zu gewinnen wäre und wie man vorgehen müsste, spielen wir den Fall einmal durch.

Diagramm 73

Diagramm 73: Bei diesem Exempel bieten sich die Ecken a8 oder h8 für den Mattangriff an.

1. Lh3 Ke7

2. Lf4 Kf6

3. Kd2

(der König muss mitmachen!)

… Ke7

4. Le5 Kf7

5. Lf5 Ke7

6. Ke3 Kf7

7. Ke4 Ke7

8. Kd5 Kf7

9. Lh7

Ein Wartezug (Diagramm 74) …

Ke7

10. Lg6 Kd7

Damit ist klar: Es geht in die Ecke a8!

Diagramm 74, Schwarz am Zug

Lisa hat Zug um Zug nachgespielt und ist beeindruckt. Der schwarze König wird nie direkt angegriffen, aber sein Bewegungsradius wird immer kleiner. Weiß treibt ihn mit dem König und den beiden Läufern systematisch in die Ecke.

Ihre Mutter ruft: «Lisa, wo bleibst du denn? Wir warten!»

Sie hat alles um sich herum völlig vergessen und beeilt sich an den Esstisch, wo ihr Vater sie stirnrunzelnd anblickt: «Was machst du eigentlich die ganze Zeit an deinem Schachbrett?»

Lisa hätte ihm gern erklärt, wie spannend sie es findet, mit nur zwei Läufern den gegnerischen König in die Enge zu treiben, aber sie weiß, dass ihr Vater sich darunter nicht viel vorstellen kann. Sie sei an einem spannenden Schachproblem dran, sagt sie und fügt entschuldigend an, dass man dabei leicht die Zeit vergessen könne.

«Hoffentlich wird das nicht zur Gewohnheit», meint ihr Vater, «sonst müssen wir uns bald Sorgen machen.»

«Nein, müsst ihr überhaupt nicht», lacht Lisa. «Aber Schach finde ich irgendwie spannender als diese Ballergames, die viele in meiner Klasse stundenlang spielen.»

«Mal sehen. Vielleicht kannst du mir das Schachspiel einmal beibringen, wenn ich pensioniert werde», grinst der Vater.

Das mag Lisa an ihren Eltern: Sie wollen zwar immer wissen, was sie gerade macht und wie es in der Schule läuft, doch das ist schon in Ordnung. Sie lassen ihr genügend Gelegenheit, mit ihren Freundinnen die Freizeit zu verbringen oder sich ihrem neuen Hobby, dem Schach, zu beschäftigen. Sie freut sich schon auf die Fortsetzung von «König und zwei Läufer gegen König».

Wo bin ich stehengeblieben? Ach ja, der schwarze König ist auf d7 gegangen, und Weiß wird nun versuchen, ihn in die Ecke a8 zu drängen.

11. Ld6 Kc8

12. Kc6 Kd8

13. Lf7 Kc8

14. Le7 Kb8

15. Kb6 Kc8

16. Le6+ Kb8

Der Rest ist einfach: matt in 2 Zügen (Diagramm 75)!

17. Ld6+ Ka8

18. Ld5 matt

Diagramm 75, nach Kb8

König mit Läufer und Springer gegen König

Eine solche Endspielstellung sei noch schwieriger zu gewinnen als eine mit einem Läuferpaar, liest Lisa. Bei dieser Konstellation spiele es eine Rolle, ob du einen schwarz- oder einen weißfeldrigen Läufer zur Verfügung hast: Bewegt sich der Läufer nur auf den schwarzen Feldern, müsstest du versuchen, den gegnerischen König in eine Ecke mit einem schwarzen Feld zu drängen, mit einem weißfeldrigen Läufer zwingst du ihn Richtung Eckfelder a8 oder h 1. Das heißt nicht, dass der König nur auf einem Eckfeld dingfest gemacht werden kann, wie folgendes Beispiel zeigt.

Diagramm 76: Es stehen ab jetzt höchstens 50 Züge zur Verfügung bis zum Matt, sonst ist remis!

1. Ld3 Kf6

2. Kd5 Kf7

3. Ke5 Kg7

4. Le4 Kh8

5. Kf6 Kg8

6. Ld3

Wartezug, um den Springer zu mobilisieren.

6. … Kh8

Diagramm 76

7. Se5 Kg8

8. Sf7 Kf8

9. Lh7! Ke8

10. Se5 Kf8 (Diagramm 77)

11. Sd7+ Ke8

12. Ke6 Kd8

13. Kd6 Ke8

14. Lg6+ Kd8 (Diagramm 78)

15. Sc5 Kc8

16. Ld3! Kd8

17. Se6+ (Diagramm 79)

Diagramm 77, Weiß am Zug

Diagramm 78, Weiß am Zug

Diagramm 79, Schwarz am Zug

Jetzt kann Schwarz einfach wieder Ke8 spielen, überlegt Lisa. Doch dann schaut sie noch einmal genauer hin und sieht, dass dieser Zug zum raschen Ende führen würde: Im nächsten Zug wäre der schwarze König mattgesetzt (18. Lg6 matt)! Also muss der schwarze König einen weiteren Schritt Richtung Eckfeld a8 machen, ob er will oder nicht!

17. … Kc8

18. La6+ Kb8

19. Kc6 Ka7

20. Sc6 Kb8

21. Kb6 Ka8 (Diagramm 80)

Jetzt ist es geschafft, denkt Lisa, die an ihrem Schachbrett alle Züge nachgespielt hat. Der König ist in der Ecke. Jetzt mattsetzen – aber wie? Ein Lächeln erhellt ihr Gesicht: Ah, ich habs, noch zwei Züge!

22. Lb7+ Kb8

23. Sa6 matt (oder Sd7 matt)

Diagramm 80, Weiß zieht und setzt matt in 2 Zügen

König und zwei Springer gegen König

Lisa zweifelt, ob eine Partie mit nur zwei Springern zu gewinnen ist. Im Schachbuch findet sie die Bestätigung:

Obwohl der Springer wertmäßig dem Läufer gleichgestellt wird, ist mit einem Springerpaar allein – im Gegensatz zum Läuferpaar – eine Partie nicht zu gewinnen. Der Springer wechselt bei jedem Zug die Feldfarbe und kann deshalb keine Wartezüge ausführen, ohne die Kontrolle über bestimmte Felder zu verlieren, z.B. eine diagonale oder gerade Linie, die für die Mattsetzung wichtig sind.

König und Dame gegen König und Turm

Die Konstellation König und Dame gegen König und Turm hat Lisa auch schon allein am Schachbrett geübt. Es war eine neue interessante Erfahrung, sich in die Position des Gegenspielers zu versetzen, das heißt, sich nach dem ersten Zug als Dirigentin der weißen Steine zu identifizieren und beim nächsten Zug die Rolle des schwarzen Gegenspielers zu übernehmen, um sich den bestmöglichen Antwortzug auszudenken. Es ist irgendwie merkwürdig, denkt sie, sonst ist man doch entweder für die eine oder die andere Partei oder Mannschaft… Ob Rudi auch ab und zu allein eine Schachpartie spielt?

«Klar, hab ich schon oft gemacht», erklärt ihr Rudi am nächsten Tag in der Schule. «Aber nur, um bestimmte Varianten einer Eröffnung oder eines Endspiels zu studieren. Ich stelle mir dabei aber nicht vor, dass ich gegen mich selber spiele, das wäre schon irgendwie schräg, sondern suche für beide Seiten die richtigen Züge oder die beste Lösung.»

«Endspiele Dame gegen Turm ergeben sich oft und enden häufig remis, weil es dem Spieler mit der Dame nicht gelingt, seinen Vorteil zu nutzen», fährt Rudi fort. «Er muss den gegnerischen König systematisch an den Rand drängen, Mattdrohungen aufbauen und den Turm erobern. Das geht nur, wenn er einen Plan hat, an welchen Brettrand er den gegnerischen König drängen will, und verhindern kann, die Dame gegen den Turm des Gegners abtauschen zu müssen. Im Web findest du Beispiele, wie du dabei am besten vorgehst.»

Lisa ist froh um diese Tipps, aber sie zieht es vor, aus ihrem kleinen Schachbuch das Beispiel mit nur den beiden Königen und Dame gegen Turm nachzuspielen.

Diagramm 81: Vorsicht, nicht gleich mit Df3+ beginnen, das könnte Schwarz mit Tf5 beantworten und den Turm gegen die Dame abtauschen: remis.

Diagramm 81, Weiß am Zug

1. Kf3 Ke6

2. Kf4 Tc5

3. Dd4 Tf5

4. Ke4 Th5

5. Dc4+ Kd6

6. Da6+ Ke7

7. Da3+ Kd7

8. Df3 Ta5

9. Db3 Tc5

10. Df7+ Kc6

11. De8+ Kb6

12. Kd4 Tc1

13. De3 Tc7

14. Ke5+ Kc6

15. Dc3+ Kd7

16. Dd3+ Kc8

Geduld ist angesagt (Diagramm 82)

Diagramm 82, Weiß am Zug

17. Dh3+ Kb7

18. Db3+ Ka7

19. Da4+ Kc6

20. Kd6 Kb7

21. Db4+ Kc8

22. Da5 Td7+

23. Kc6! (Diagramm 83)

Diagramm 83, Schwarz am Zug

Mattdrohung Da8, und nach Tc7 folgt Dxc7 matt

23. … Tb7

Was kann Schwarz sonst tun? Kb8?

24. Da6 Kd8

25. Dxb7 und Weiß gewinnt

Nun muss ich mir nur noch ein paar Seiten anschauen, bei denen es um reine Bauernendspiele geht, freut sich Lisa. Sie malt sich schon aus, wie sie Erich eines Tages in ein Bauernendspiel zwingen wird.

Bauernendspiele

Ein Bauer allein kann nicht mattsetzen, liest Lisa – nun, das ist logisch –, aber sie hat gelernt, dass er sich in eine Figur verwandelt, wenn er es geschafft hat, die letzte Reihe in der gegnerischen Zone zu erreichen. Ein Bauer kann deshalb im Endspiel zum wichtigsten Stein auf dem Brett werden.

Diagramm 84: Schafft es der Bauer von e4 auf e8 zu gelangen und sich in eine Dame zu verwandeln?

Ja, wenn Weiß am Zug ist!

1. e5 Kg4 2. e6 Kf5 3. e7 Kf6 4. e8D Nein, wenn Schwarz am Zug ist!

1. … Kg4 2. e5 Kf5 3. e6 Kxe6

Stünde der weiße König auf g5 oder g6, könnte er seinen Bauern in jedem Fall bis e8 durchmarschieren lassen, Schwarz müsste aufgeben.

Diagramm 84

Diagramm 85: Mit einem Randbauern ist die Partie nicht zu gewinnen, wenn es dem Gegner gelingt, das Eckfeld zu besetzen. Der weiße König kann auf h6, wonach die Partie patt ist, oder er trennt sich von seinem Bauern: remis.

Diagramm 85

Diagramm 86: Wenn Schwarz am Zug ist, ist die Partie patt. Weiß am Zug gewinnt:

Diagramm 86

1. Ke6 Kg7 oder 1. Kg6 Ke7
2. Ke7 2. Kg7
3. f7 D 3. f7 D

Um einen Einzelbauern umwandeln zu können, gilt: Der König muss mindestens eine Reihe vor dem eigenen Bauern in Opposition zum gegnerischen König stehen. Was das genau heißt, zeigt folgendes Beispiel.

1. Kd3! (Diagramm 87)

Kc3 wäre falsch, denn nun würde der schwarze König seinerseits mit Kc5! in die Opposition gehen, und die Partie wäre nicht zu gewinnen.

1. … Kc5

2. Ke4 Kd6

3. Kd4 Ke6

4. Kc5 Kd7

5. Kd5

Diagramm 87, Weiß am Zug

Diagramm 88: Opposition! Ein Fehler wäre d4 gewesen, weil darauf Kc7 folgte und Schwarz das Remis halten könnte.

5. … Kc7

6. Ke6 Kd8

7. Kd6 Ke8

8. d4 Kd8

9. d5 Kc8

10. Ke7, und d8 ist freigekämpft!

Wer sagt, dass man mit einem Randbauern nicht gewinnen kann? Kein Problem, wenn der gegnerische König zu weit entfernt ist…

Diagramm 88, Schwarz am Zug

Diagramm 89 zeigt eine hoffnungsvolle Stellung für Weiß. Soll sich Schwarz doch um den Bauern a5 kümmern, in der Zeit, die er braucht, um den Bauern zu beseitigen, marschiert der weiße König Richtung h6. Also:

Diagramm 89, Weiß am Zug

1. Kc5!

Endspiele mit wenigen Figuren und Bauern

Diagramm 90: Weiß am Zug kann nicht gewinnen. Der schwarze König pendelt zwischen f7 und f8, egal was Weiß unternimmt, und lässt den weißen König nicht aus der Ecke kommen.

Wenn Schwarz am Zug wäre, würde Weiß gewinnen! Kurios!

Diagramm 90, Weiß am Zug

Diagramm 91: Weiß kann nicht gewinnen, weil er einen schwarzfeldrigen Läufer hat, der das weiße Umwandlungsfeld a8 nicht beherrscht.

Nach 1. Kb6 Kb8 2. a6–a7+ geht der schwarze König wieder auf a8 und ist patt statt matt. Mit einem weißfeldrigen Läufer wäre die Partie zu gewinnen.

Diagramm 91

Diagramm 92: Selbst mit der Dame gegen einen kleinen Bauern kann Weiß bei dieser Stellung nicht gewinnen. Sie endet remis.

1. Dd1+ Kg2

2. De2 Kg1

3. De3 Kg2

4. De2 Kg1 usw.

Der schwarze König verteidigt erfolgreich das Umwandlungsfeld f1 für seinen Bauern.

Diagramm 92

Vor vier Monaten hat Lisa erstmals angefangen, sich für Schach zu interessieren. Mit Onkel Erich hat sie seither an vielen Sonntagabenden – während die übrige Familie vor dem TV saß – Partien gespielt und immer verloren, sie hatte gegen Rudi keine Chance, und auch das Schachprogramm auf ihrem PC war zu stark für sie. Andere in ihrem Alter hätten nach so viel Erfolglosigkeit das Interesse an Schach verloren, nicht aber Lisa, die sich durch das kleine Schachbuch gearbeitet hat, das ihr Erich geschenkt hatte. Sie hat nicht vergessen, dass Erich ihr ein City-Bike versprochen hat, wenn es ihr gelingen würde, ihn noch in diesem Jahr einmal zu besiegen. Es bleiben ihr noch vier Monate.

Rudi hat Lisa wieder ein paar Schachaufgaben geschickt, welche die Juniorinnen und Junioren im Schachklub lösen mussten. «Nur für Fortgeschrittene», hat er gemeint.

Aufgaben 1 und 2

Lösungen siehe Seite

Diagramm 93, Weiß am Zug

Schau dir die Stellung genau an und überlege, ob du mit dem einzigen Bauern und dem Läufer die Partie gewinnen kannst.

Yes, you can! Auch wenn es kaum möglich scheint…

Diagramm 94, DxTd3?

Weiß könnte gewinnen:

Tg7+ Kh8

Tg7–g8+ Kh7

Tg1–g7 matt

Wenn nur nicht die Dame e4 den Turm g2 fesseln würde!

Deshalb spielt Weiß 1. DxTd3.

Wie antwortet Schwarz darauf am besten?

Die erste Aufgabe bereitet Lisa Kopfzerbrechen. Der weiße König geht nach d5, dann der schwarze nach c7 – und dann? Auch nach längerem Überlegen kommt sie der Lösung nicht auf die Spur und will schon zur nächsten Aufgabe gehen, als ihr ein Licht aufgeht…

Die zweite Aufgabe – Diagramm 94 – ist auch spannend. Weiß opfert die Dame, um dann mit den Türmen den schwarzen König mattzusetzen. Würde ich mit Schwarz auf das Angebot eingehen und die weiße Dame schlagen, nachdem sie meinen Turm d3 genommen hat? Normalerweise schon, überlegt Lisa, aber hier, wo ich dann gleich mattgesetzt werde? Nach langem Analysieren findet sie die Lösung…

Aufgaben 3 und 4

Diagramm 95, Schwarz am Zug

Schwarz ist am Zug und sollte seinen Springer in Sicherheit bringen. Doch er gibt zuerst ein Zwischenschach: Dd1+. Beachte die Verbindung der Felder f3, e5, c6 und c4, die zu Springergabeln einladen. Wie geht die Partie nach Dd1+ weiter, falls der weiße König auf g2 geht?

Diagramm 96, Schwarz am Zug

Weiß ist mit dem Turm von e2 auf e3 gegangen, um den Turmabtausch zu provozieren. Mit einem Mehrbauern sollte die Partie zu gewinnen sein. Nun ist Schwarz am Zug und überlegt: Txh2+ oder Txe3?

Andere Züge kommen nicht infrage wegen Te3xTh3. Was würdest du spielen?

Bei den Aufgaben 3 und 4 ist Lisa überfordert. Oder ist es die Müdigkeit? Die schwarze Dame greift also auf d1 an, und der weiße König muss auf g2. Dadurch ist sein Springer auf f3 geschützt. Wie weiter? Vielleicht mit der Dame auf a1, um den Bauern e4 zu erobern? Lisa findet keine Fortsetzung des Spiels, die irgendwie entscheidend wäre.

Auch die vierte Aufgabe gibt ihr Rätsel auf, obwohl es nur zwei mögliche Züge sind, die Schwarz zur Auswahl stehen: Turm tauschen oder den Bauern h2 schlagen. Sie würde sich für das Schlagen des h-Bauern entscheiden. Eigentlich sollte das Remis dann zu halten sein. Sie hat aber nicht das Gefühl, dass dies schon die Lösung ist – das wäre irgendwie zu banal…

«Zwei von vier Aufgaben gelöst», teilt sie Rudi per SMS mit.

«Super», antwortet Rudi. «Willst du die Lösungen vergleichen?»

«Klar, her mit den Lösungen!»

Das Mail mit den Lösungen lässt nicht lange auf sich warten.

Lösungen zu den Aufgaben 1 bis 4

Aufgabe 1 (Diagramm 93)

Kann Weiß diese Partie gewinnen? Hier hilft der Umstand, dass Weiß noch einen weißfeldrigen Läufer hat und der gegnerische König am Schluss auf das weiße Eckfeld a8 verdrängt werden kann. Zudem ist Schwarz gezwungen, die Umwandlung des Bauern auf b8 zu verhindern. Aus dieser ganz besonderen Stellung heraus kann Weiß den schwarzen König in fünf Zügen mattsetzen:

1. Kd5 Kc7

2. b7–b8 Dame!+ Kxb8

3. Kxd6 Ka8

4. Kc7 d5 (oder d6)

5. Lb7 matt!

Aufgabe 2 (Diagramm 94)

Die weiße Dame schlägt den Turm d3. Schwarz lässt sich dadurch nicht beirren:

… Txh2+

Kxh2 Dh4 matt!

Aufgabe 3 (Diagramm 95)

Schwarz am Zug verzichtet zunächst darauf, den Springer c6 in Sicherheit zu bringen und geht statt dessen in den Angriff:

… Dd 1+

Kg2 (Df1 wäre besser)

… Dxf3+!

Kxf3 Sxe5+!

König beliebig Sxc4

Aufgabe 4 (Diagramm 96)

Schwarz am Zug: Turm abtauschen oder h2 schlagen?

Bauer h2 schlagen ist verlockend, dann ist die Partie materiell ausgeglichen:

… Txh2+ (??)

Kd3 Schwarz gibt auf!

Es droht Te5 matt! Schwarz könnte, um das zu verhindern, nur den Turm opfern (Td2+), wonach die Partie verloren ist.


2) Max Blau, Schach für Anfänger, 9. Aufl., Hallwag Verlag, Bern und Stuttgart, 1977

3) http://de.wikipedia.org/wiki/Seekadettenmatt

4) www.letsplaychess.com/chessclubs/ltpgnviewer32/ltpgnboard.asp?GameID=2830713#.VB-hMB0hWEmU