Aufgabe (Diagramm 120):
Wieso war 5. e3 ein schlechter Zug? Wie kann Schwarz davon profitieren?
5. e3 …
2.… …
3. … …
4.… …
Diagramm 120, Schwarz am Zug
Lösung Seite →
Wieder herrscht kurzes Schweigen. Dann schaut Rudi kurz auf und sagt mit breitem Grinsen: «He, so gemein, das habe ich auch nicht gleich gesehen.» Er sagt nicht, was er zuerst übersehen hat und dass ihm nun völlig klar ist, was Schwarz hätte tun sollen.
«Warte mal», sagt Nadja, «ich glaube, ich würde mit dem Springer auf e5 und den Läufer angreifen.» Sie blickt unsicher zu Roberto, und der wackelt mit dem Kopf. «Ja, der Zug ist immerhin besser als d5. Aber schau noch einmal genau hin!»
«Ach ja», sagen Lisa und Roger fast gleichzeitig. Auch Nadja hat nun den besten Zug für Schwarz erkannt: «Mensch, dass man so blind sein kann!» Welches Licht ist den Dreien aufgegangen?
Robert ist zufrieden. «Gut», sagt er. «Das wärs für heute. Wir wollen ja nicht übertreiben.»
«Ach komm, das war ja nicht so schwierig», bemerkt Roger. «Ich würde gerne noch eine Aufgabe lösen, vielleicht etwas richtig Kompliziertes.» «Ja genau, du darfst uns richtig fordern», bemerkt Lisa, und auch Rudi und Nadja nicken Robert erwartungsvoll zu.
Der Coach ist verblüfft und ein wenig überrumpelt. «Das war euch zu einfach, wie? Okay, wenn ihr wollt, stelle ich euch noch ein kleines Problemchen hin.» Er blättert in seinen Unterlagen und baut dann auf dem Brett eine Stellung nach, die ziemlich komplex aussieht. Er überprüft, ob alle Figuren auf dem richtigen Feld stehen und erklärt: «Diese Stellung ist 1896 in einer Partie des damaligen ungarischen Meisters Rudolf Charousek gegen den Russen Michail Tschigorin entstanden. Charousek war damals erst 23 Jahre alt und mausarm. Vier Jahre später ist er an Tuberkulose gestorben. Tschigorin war einer der besten Spieler der Welt, 1892 verlor er den Kampf um den Weltmeistertitel gegen Steinitz knapp. Ihr müsst wissen, dass es schon vor über hundert Jahren geniale Schachspieler gab, die tolle Partien gespielt haben, aus denen wir heute noch lernen können.»
Aufgabe (Diagramm 121):
Welcher Zug von Weiß führt zur Vorentscheidung?
Charousek–Tschigorin
18.… …
19.… …
20.… …
21.… …
22.… …
23.… …
24.… …
25.… …
Diagramm 121, Weiß am Zug
Lösung Seite →
«Hier also eure Aufgabe», fährt der Coach fort. «Die Stellung ergab sich nach dem 17. Zug: Weiß zog den Bauern von e5 nach e6, Schwarz antwortete mit dem Angriff auf die weiße Dame, Turm von a8 nach c8. Der folgende Zug von Charousek war vorentscheidend für den Sieg in dieser Partie. Ich lasse euch nun überlegen, wie euer wichtiger 18. Zug ausgesehen hätte.»
Genüsslich lehnt sich Roberto zurück. Die vier Teenies betrachten die Figuren auf dem Brett und sind etwas verwirrt. «Die weiße Dame ist angegriffen», analysiert Rudi, «und eigentlich kann sie nur auf a4 flüchten oder auf b7 Schach geben. Das bringt aber nichts, im Gegenteil. Schwarz würde mit Turm auf c7 die Dame auf b7 angreifen, und die könnte nirgends mehr hin, wo sie nicht gefressen wird. Weiß kann natürlich Schach geben, zum Beispiel mit dem Springer den Bauern d5 schlagen. Aber Schwarz schlägt mit dem Läufer zurück, der Springer ist weg und die Dame immer noch angegriffen. Schlägt Weiß dann den Springer a6, geht Schwarz mit dem Läufer auf c4 und greift die Dame auf a6 und den Turm auf f1 gleichzeitig an. Was meint ihr?»
Rosemarie J. Pfortner, www.kunstundschach-rjp.com
José Raúl Capablanca y Graupera
(* 19. November 1888 in Havanna; † 8. März 1942 in New York City) war ein kubanischer Schachspieler und Diplomat. Von 1921 bis 1927 war er der dritte Schachweltmeister [WIKIPEDIA].
Alle haben Rudi interessiert zugehört und registrieren, dass auch ihr «Champ» keine schnelle Lösung findet und offenbar gefordert ist. «Was ist, wenn der Läufer auf d6 geht und Schach gibt?», fragt Lisa. «Die schwarze Dame nimmt den Läufer, und die weiße Dame schlägt im 19. Zug den Turm c8. Ist das die Lösung?»
«Aber dann schlägt der Läufer c4 den Turm f1, und Schwarz ist im Vorteil», meldet sich Rudi. «Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist.»
Darauf hat niemand eine Antwort. Alle betrachten schweigend die Figuren auf dem Brett, bis Roger eine Idee hat: «Moment mal, Schwarz kann doch mit dem Läufer auch auf g5 Schach geben.»
«Gut, h6 schlägt den Läufer auf g5, und dann?», fragt Rudi.
Doch diesmal hat Roger weitergedacht. «Dann schlägt der Turm f1 den Bauern f7 und Schwarz ist schachmatt.»
Rosemarie J. Pfortner, www.kunstundschach-rjp.com
«Das Schachspiel hat wie die Liebe, die Musik, die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen. Ich habe ein leises Gefühl des Bedauerns für jeden, der das Schachspiel nicht kennt, sowie ich jeden bedaure, der die Liebe nicht kennt.»
(Dr. Siegbert Tarrasch)
Siegbert Tarrasch (* 5. März 1862 in Breslau; † 17. Februar 1934 in München) war ein deutscher Schachspieler [WIKIPEDIA].
Zunächst sind alle verblüfft. Interessant, denkt Lisa, diese Variante haben wir bisher übersehen. Doch wenn… «Aber wenn Schwarz den Läufer nicht schlägt, sondern den Bauern f7 auf f6 schiebt?», wirft Nadja ein, die den gleichen Gedanken hatte wie Lisa.
«Dann sehe ich alt aus», gibt Roger nach kurzem Bedenken missmutig zu. Minuten verstreichen. Roberto lächelt.
«Willst du uns auf den Arm nehmen?», fragt Nadja. «Weiß kann mit dem nächsten Zug eigentlich nur etwas Falsches machen, also den vorentscheidenden Verlustzug, nicht aber den zwingenden Gewinnzug.»
Das bringt die andern zwar spontan zum Lachen, aber sie schauen Roberto fragend an: Hat Nadja vielleicht recht?
«Gut, es gibt kein Schachmatt im nächsten oder übernächsten Zug, aber der 18. Zug von Charousek war vernichtend. Er hat die Partie zu seinen Gunsten entschieden, Tschigorin hatte nur noch die Wahl zwischen einem schnellen Matt und dem Verlust seiner Dame. Er hat im 19. Zug seine Dame hergeben müssen und dann noch ein paar Züge gespielt bis zur Aufgabe. Wollt ihr wissen wie das ging, oder fällt euch jetzt spontan noch die Lösung ein? Ihr habt noch drei Minuten… Noch ein Tipp: Lisa war schon ganz nahe dran, und die Idee von Roger war grundsätzlich überhaupt nicht schlecht.»
Überraschung! Lisa ist perplex. Ich habe überhaupt keine Ahnung, denkt sie. Was war denn mein Vorschlag? «Du wolltest mit dem Läufer auf d6 Schach bieten», erinnert sie Rudi.
«Stimmt», antwortet Lisa, «aber das führt ja zu nichts, wie wir gesehen haben.» Noch eine Minute.
Rudi räuspert sich. «Ich glaube, wir haben etwas ganz Wichtiges übersehen, und ich sehe jetzt, was das war.»
Staunende Gesichter, als Rudi den Zug spielt, mit dem Charousek 1896 in einem beeindruckenden Kombinationsspiel den großen Tschigorin vor ein unlösbares Problem stellte.
Lösungen zu den Aufgaben (Diagramme 118 bis 121)
1. Kh1 Sf2+
2. Kg1 Sh3+!
3. Kh1 Dg1+!
4. Txg1 Sf2 matt!
Schlussstellung
1. Dxf6+ gxf6
2. Lh6 matt
Schlussstellung
Schwarz am Zug: Da5+ und der
Läufer g5 ist verloren…
18. Lc7!
Mögliche Antworten von Schwarz:
18. … Dxc7 19. Txf7+!
18. … De8 19. Dd6 matt
18. … Txc7 19. Txf7 matt
Tschigorin wählte die bestmögliche Antwort, bevor er acht Züge später aufgab:
18. … fxe6 19. Lxd8+ Txd8
20. Db7+ Td7 21. Tf7+ Kxf7
22. Dxd7+ Le7 23. Te1 Te8
24. b3 Kf8 25. bxc4 1:0
1) http://chessworld.net/chessclubs/ltpgnviewer32/ltpgnboard.asp?GameID=39805#.VBqWoEhWEmU